Warum beschäftigen sich Menschen mit Kunst?
Oder: ist es verwerflich, das rote Bild zu kaufen, weil es zum Sofa passt?
Um die zweite Frage gleich vorab zu beantworten: ich denke, es ist nicht verwerflich. Es ist ein akzeptabler Grund. Befragt man 100 Kunstinteressenten, erhält man sicherlich 100 verschiedene Beweggründe für ihren Kunstkauf genannt. Was tatsächlich wichtig ist, ist ihre Offenheit und ihr Interesse an der Kunst.
Deswegen lautet auch die wahrscheinlich intelligentere Frage: warum fühlen sich Menschen zu Kunst hingezogen?
Kunst ist Wissen
Was ist Kunst eigentlich, und worum geht es bei Kunstschaffen? Viele Menschen vermuten, dass sich das deutsche Wort "Kunst" von "können" herleitet. Die wenigsten jedoch bedenken, dass die ursprüngliche Bedeutung von "können" "etwas wissen" ist.
Ein Kunstwerk ist demzufolge eine Art Wissenspaket, ein greifbares Objekt, das Informationen enthält. Kunst materialisiert und verdichtet Informationen (Vorgewusstes, Ungewusstes, Geahntes), Erkenntnisse, Daten, Energie. All dies wird dem Betrachter simultan und in einer sinnlich wahrnehmbaren Form zur Verfügung gestellt. Der Philosoph Benedetto Croce (1866 - 1952) sagte: "Der Künstler erfasst mehr als wir anderen." Wenn die Welt ein Buch wäre, dann lesen wir das Inhaltsverzeichnis - die Künstler jedoch die Kapitel: jeder ein anderes.
In der Kunst geht es demzufolge um Wissen - und Wissen zählt als Aktivposten in der Wirtschaftslehre. Wer über mehr Wissen als sein Mitbewerber verfügt, ist im Vorteil.
Kunst erfordert Kontemplation und Stille
Als Kind lernte ich Sprachen, heute spreche ich fünf. Und erinnere mich noch immer daran, wie viel Mühe es mich gekostet hat. Wir alle wünschten uns damals einen Chip, den man einfach nur unter die Haut pflanzen müsse, um dann von einem Moment auf den anderen eine neue Sprache fehlerfrei sprechen und schreiben zu können. (Soweit ich weiß wurde diese Erfindung immer noch nicht gemacht..)
Wissenstransfer durch Kunst funktioniert anders als die Arten, auf die wir normalerweise lernen. Es passiert durch eine Art Übertragung: indem man sich auf ein Kunstwerk einlässt, entsteht neues Wissen in einem selbst. Wissen, das möglicherweise verbal schwer fassbar ist (sonst hätte der Künstler auch ein Fachbuch schreiben können), nichtsdestotrotz aber: Wissen. Wissen - wie jenes das man als Kind erhielt, auf den Knien des Großvaters sitzend, endlosen Erzählungen lauschend... Wissen, wie jenes, wenn man der Großmutter beim Kochen geholfen hat.
In beiden Fällen geht es um das Teilhaben am Erfahrungshorizont eines anderen Menschen. Das vermittelte Wissen ist vielleicht in der unmittelbaren Situation nicht direkt anwendbar, bietet im Gesamtzusammenhang aber dennoch eine unverzichtbare Entscheidungshilfe.
Wissenstransfer
Augenblicklich gibt es verschiedene Forschungsgruppen, die sich mit dem Wissenstransfer zwischen Kunst - Wirtschaft - Wissenschaft - Philosophie beschäftigen. Unternehmensberater wie Dr. Michael Brater (Berater der dm-Drogeriemarktkette, Deutschland) favorisieren künstlerisches Handeln als Strategie, sich in einem stark verändernden Wirtschafsumfeld zu behaupten. Künstler sind hierbei Vorreiter und Wegweiser.
Warum beschäftigen sich Unternehmen also mit Kunst? Weil sie die Zeichen der Zeit erkannt haben. Weil sie verstanden haben, dass, wenn sie sich vom globalen Dialog, der (auch) über die Kunst geführt wird, selbst ausschließen, bald ausgeschlossen sein werden.