Polylog: Eine gemeinschaftliche Kunstform.
Polylog bezeichnet einen offenen Raum, in dem kommunikativer Austausch zwischen mehreren Teilnehmern stattfindet. Auf Augenhöhe teilen wir Gedanken, hören einander zu, denken die Gedanken der anderen weiter. Der Polylog ist frei vom Zwang, einen Konsens zu finden. Deswegen können wir uns erlauben, unseren Gesprächspartnern wirklich zuzuhören, die anderen Positionen zu verstehen und unsere eigene für Veränderungen offen zu halten. Polylog fördert Austausch, Freiheit und Gleichberechtigung im Zusammensein mit anderen Menschen. Manche bezeichnen den Polylog auch als gemeinschaftliche Kunstform.
Polylog ist ein Begriff aus der Interkulturellen Philosophie – einer philosophischen Disziplin, die zwei Schwerpunkte hat: Zum einen führt die Interkulturellen Philosophie einen Metadiskurs über die Frage, was "Philosophie" eigentlich ist. Zum anderen setzt sie sich für eine bestimmte Haltung des Philosophierens ein, nämlich einen offenen Raum, in dem die Beiträge aller Kulturen und Traditionen gleichberechtigt miteinander in Austausch treten.
Für den, der interkulturell philosophieren möchte, bedeutet das in der Praxis zunächst dreierlei:
Atopie / orthafte Ortlosigkeit
Zunächst gilt es, die eigene Position – die eigene Verortung – zu reflektieren. Keine Philosophie, keine philosophische Position entstehen im leeren Raum. Sie ist vielmehr stets rückgebunden an eine bestimmte Kultur, an eine Tradition, an eine Sprache – und damit einhergehend an ein bestimmtes Sprachspiel, das Diskurse(1) und Diskursausschüsse (Tabus) bestimmt. Erst wenn ich mir meiner eigenen Orthaftigkeit, meiner Verortung und Verwurzelung gewahr bin, kann ich diese transzendieren, sie gewissermaßen ein- bzw. ausklammern(2), ortlos werden und so meinen normalerweise verstellten zu einem unverstellteren Blick werden lassen.(3)
Responsivität
Interkulturell philosophieren bedeutet, dem Fremden, dem Anderen zu antworten(4). Damit ist jedoch keine Belehrung, kein Explizieren der eigenen Position gemeint. Um dem Anderen wirklich antworten zu können, muss ich vielmehr zunächst einmal offen für ihn werden, ihn wahrnehmen, mich der Zumutung, die er darstellt, aussetzen(5). Nur wenn ich dem anderen wahrhaftig zuhöre, mich ihm öffne, bereit bin, mich von ihm erschüttern zu lassen und meine eigenen Sinnbezüge zu überschreiten, bin ich-mit-ihm verbunden; stelle ich mich für sein Fragen taub, expliziere ich lediglich meine eigene, feststehende Position, bleibe ich getrennt.
Polylog
Interkulturell zu philosophieren bedeutet, mit mehreren Teilnehmern in einen einen gleichberechtigten kommunikativen Austausch auf Augenhöhe zu treten, ein Unternehmen, das von Freiheit und gegenseitigem Respekt getragen ist. Wir teilen unsere Gedanken, hören einander zu, denken die Gedanken der anderen weiter, forschen nach Überlappungen. Der Polylog enthält Elemente der parrhesia: dem Akt freimütiger Rede, der Mut erfordert, weil er ein Schweigen durchbricht und mit Selbstexposition verbunden ist. Aber der Polylog geht weiter: wir exponieren unsere Position nicht nur, wir stellen sie sogar zur Disposition. Dies ist möglich, weil wir im Polylog frei sind vom Zwang, einen Konsens finden zu müssen. So können wir es uns auch erlauben, Stimmen im Diskurs zuzulassen, die in unseren eigenen Sprachspielen normalerweise ausgeschlossen(6) sind. Beim interkulturellen Philosophieren geht es um mehr, als nur darum, die Positionen der Anderen kennenzulernen. Es geht darum, die eigene Position zu reflektieren und die eigenen Sinnbezüge – und Begrenzungen – wahrzunehmen und ggf. zu überschreiten: indem wir für den Anderen offen werden, uns von ihm berühren und unser Denken befruchten lassen.