Weibliche Solidarität oder:
Das Schwert in der Scheide
Emanzipation einmal anders betrachtet: erstaunlicherweise sind es oft Frauen, die ihren Geschlechtsgenossinnen das Leben schwer machen.
"Nach einiger Zeit dachte ich gar nicht mehr, dass das so ein schlimmes Leben war, wirklich. Nach einiger Zeit war ich so tief verletzt, dass ich überhaupt keinen Unterschied mehr spürte. Was konnte mich glücklicher machen, als zu sehen, wie jeder gierig die glänzenden Pilze und die Bambussprossen hinunterschlang, die ich an jedem Tag zuzubereiten geholfen hatte. Was konnte befriedigender sein, als dass Huang Taitai nickte, und mir den Kopf tätschelte, wenn ich damit fertig war, ihr Haar mit 100 Bürstenstrichen zu kämmen? Wie könnte ich glücklicher sein, als in dem Moment, in dem Tyan-Yu (mein Ehemann) eine ganze Schüssel Nudeln leergegessen hatte, ohne sich ein einziges Mal über deren Geschmack oder über mein Aussehen zu beklagen..."
Frei übersetzt aus "The Joy Luck Club" by Amy Tan, S. 51
Wer ist der Feind?
Wer ist da der Feind? Der "schlimme Ehemann", oder die "schlimme Schwiegermutter", die ihren Sohn eben so erzogen hat? Aus der östlichen Kampfeskunst stammt der Erkenntnissatz "der Feind ist innen" - vielleicht ein interessanter Ausgangspunkt für Analysen über die "Situation der Frauen".
Viele klagen heute über das stockende Vorwärtskommen in der Gleichstellung. Die Meister des Orients sagen uns, erst wenn wir den Feind in seiner wirklichen Position lokalisiert haben, können wir mit einem erfolgreichen Kriegszug rechnen. Solange wir ihn nur irgendwo vermuten, ist jeder Feldzug potentiell ein Misserfolg.
Das gebetsmühlenartige Lamento der Emanzipationsbewegung kreist um das Feindbild Mann, denn dieser "Feind" ist anscheinend der offensichtlichste. Aber "offensichtlich" bedeutet nicht automatisch "richtig". Tatsächlich ist das alles nur eine Theorie, ein Versuch die gegenwärtige Situation zu erklären.
Zugegebenermaßen gibt es Argumente dafür, dem Mann die emanzipierte Frau ungelegen kommt, denn er will die Besitzstände seines bequemen Lebens wahren. Dennoch habe ich in meinem Leben noch nie einen Mann getroffen, der wirklich ernsthaft von mir gefordert hätte, dass ich ihm das Abendessen koche, oder seine Hemden bügle. Die einzige, die mir je einen solchen Mann prophezeite, war meine Großmutter, die selbst Sohn und Enkel zu haushaltstechnisch unfähigen Männern erzog.
Im Land der geschundenen Frauen
Vor kurzem habe ich eine Reise gemacht, nach Indien, in das "Land der geschundenen Frauen". Das Land, das voller weiblicher Göttinnen ist, und das ihre lebendigen Frauen am höchsten verehrt, wenn sie Sati begehen (d. h. ihrem verstorbenen Mann auf den Scheiterhaufen folgen), wo in manchen Regionen auf 100 kleine Jungen nur 70 kleine Mädchen kommen, weil die anderen entweder schon als Föten abgetrieben, oder aber als Babys ermordet wurden... usw., usw. . Wovor fürchtet sich die jungverheiratete Inderin am meisten - vor ihrem Ehemann, oder vor dem Höllenleben, das ihr ihre Schwiegermutter bereiten wird?
Der absurde Wahnsinn dabei ist, dass ebendiese Schwiegermutter war vor 30 Jahren in derselben Lage gewesen ist. Auch sie hat Leid erdulden müssen - warum hat sie nichts gelernt, und läßt nun Milde walten?
Wir Frauen sind es selbst, die unseren Mitfrauen das Leben oft so unmöglich machen. Das fängt damit an, dass frau einem (männlichen) Arzt von vornherein mehr fachliche Kompetenz zutraut, als einer Ärztin. Wir bevorzugen Zahnärzte, Frauenärzte, Rechtsanwälte, Polit-Machos - mit allen entsprechenden ökonomischen Folgen. Frauen werden niemals auf demselben Erfolgstreppchen stehen, wenn wir, ihre Mit-Frauen, bei jeder Gelegenheit einen Knüppel zwischen die Beine werfen.
Denen vergeben, die uns Schaden zugefügt haben
Vielleicht sollten wir ganz einfach aufhören, zu lamentieren. Und in uns gehen, und uns mit den Frauen aussöhnen. Mit denen, die uns Leid zugefügt haben (Mütter, Stiefmütter, fiese Lehrerinnen), und mit uns selbst.
Und dann hinausgehen, und unsere Geschlechtsgenossinnen unterstützen. Für eine gerechtere Welt. Für eine Welt mit mehr Chancen für uns alle!